Im Proberaum am Hafen befragt Rachid seinen Musikerkollegen aus Indien:
„Singst Du nach Noten?“ - „Nein, ich singe nach Gefühl!“. Der marokkanische Oud-Spieler seufzt: „Vielleicht probieren wir es einfach mal, ich spiele eine orientalische Melodie, und du summst dazu.“ - „Auf Indisch?“ - „Was?“ - „Soll ich auf Indisch summen?“ fragt Gurpreet. Doch die Frage erledigt sich schnell. Nach ein paar Versuchen übernimmt der in Gronau lebende Sänger die Führung und legt mit einem indischen Bollywood-Song ein Stück vor, auf das Rachid gekonnt mit der Oud einsteigt. Das Resultat klingt überraschend stimmig.
Erfahrungsaustausch unter professionellen Künstlern
Doch auch die umgekehrte Variante, bei der ein syrisches Lied durch die Instrumentalisten Rachid Dalil und Abdulla Tammaa vorgegeben wird, und der indische Sänger mit Lautmalerei einsteigt, funktioniert nach ein paar Versuchen schon fast perfekt. Der syrische Musiklehrer Tammaa ist derlei grenzüberschreitende Zusammenarbeit mittlerweile gewohnt. In Saerbeck hat der 33jährige, der mit seiner Familie vor 9 Monaten nach Deutschland geflüchtet ist, bereits einen Trommelkurs mit deutschen Bauchtänzerinnen durchgeführt.
Das Projekt „Heimat X“ bietet Tammaa die Chance, von den Erfahrungen der Kollegen, die in einer ähnlichen Situation wie er selbst waren oder sind zu profitieren. Ein wichtiger Impulsgeber ist dabei der gebürtige Peruaner und Schlagwerker Frank Vidal, der seit fast zwei Jahrzehnten in Deutschland wohnt, und der weiß, worauf es bei der interkulturellen Zusammenarbeit ankommt. Neben den musikalischen Fähigkeiten spielt auch das gesellschaftliche Taktgefühl eine wichtige Rolle, denn auch wenn Musik grenzüberschreitend verständlich ist, treffen beim gemeinsamen Musizieren unterschiedliche Traditionen, Stile und Überzeugungen aufeinander. Auf der Bühne erlebt das Publikum einen Verständigungsprozess, der die Hürden und die Chancen des interkulturellen Dialogs greifbar macht. Genau das ist das Ziel der Veranstaltungsreihe „Heimat X“, die Begegnungen zwischen Profis auf Augenhöhe ermöglicht.
Neue Klänge aus dem Münsterland
Aber nicht nur auf der Bühne, sondern auch unter den Zuschauer/innen finden am Abend des 3. September im Konzertsaal der Landesmusikakademie NRW zur Auftaktveranstaltung der Reihe „Heimat X“ viele interkulturelle Begegnungen statt. „Heimat X“ bringt eben nicht nur Künstler/innen aus verschiedenen Ländern, sondern auch verschiedene Zielgruppen im Publikum zusammen. Auf sehr sinnliche Art und Weise macht das Projekt dabei die neuen Klänge erfahrbar, die im Münsterland angekommen sind und die es wert sind, ihnen mit einem Konzertbesuch die Aufmerksamkeit zu schenken.
Die Künstlerinitiative „Heimat X“ wurde vom Autor und Dramaturgen Thomas Richhardt ins Leben gerufen. Geflüchtete Künstler/innen und Künstler/innen aus der Region arbeiten bei dem Projekt gemeinsam an einer Veranstaltungsreihe, die zum Ziel hat, neue künstlerische Handschriften, Kulturen und Persönlichkeiten im Münsterland sichtbar zu machen.
„Heimat X“ wird gefördert vom Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen und durch die LAG Soziokultureller Zentren NRW. In Kooperation mit der Landesmusikakademie NRW.
Samstag, 3.9.2016, 19:30 Uhr
Eintritt: 8 €, ermäßigt 4 €
Landesmusikakademie NRW, Steinweg 2, 48619 Heek-Nienborg
Kartenreservierungen und weitere Informationen:
karten@fluechtlingstheater.de oder unter Tel. 03212-1071044